Abschied von meiner besten Freundin
Sie stand da, lachend und scherzend, umringt von jungen Männern, und ich beobachtete sie. Auch in der Schulzeit war ich eher die Außenseiterin. Beobachtete still die anderen, oder träumte vor mich hin. In einer anderen Welt vernetzt zu sein, mit Menschen, Tieren, Bäumen, Drachen und Elfen… hoffnungslos romantisch.
Ich wollte eigentlich auch so dastehen können, für andere attraktiv sein, wie diese junge Frau. Ich war neidisch auf sie und suchte nach dem Fehler.
Es war auf der Erstsemester-Party, am Abend unseres ersten Studientages auf der Technischen Universität. Wir waren 200 junge Idealisten, die Alle bedeutende Architekten werden wollten.
Im obersten Stockwerk, mit Blick über die Dächer, gibt es den weißen Saal. Hier sollte jeder von uns seinen Stammplatz für die kommenden zwei Jahre des Vorstudiums haben. Die Türen wurden geöffnet und die Studentenschar ergoss sich, auf der Jagd nach den besten Plätzen, ins Innere.
Sie kam von hinten, ich von vorne gerannt… an denselben Vierer-Tisch! Neben uns schnappten zwei Jungs die Lehnen der Nachbar-Stühle. Wir grinsten uns an… und waren seitdem ein unzertrennliches Vierergespann.
In unserem Vierergespann fühlte ich mich sicher. Jeder hatte unterschiedliche Qualitäten, die sich gut ergänzten, die inspirierten und mit der Zeit auch abfärbten… langsam verlor ich meine Scheu.
Wir hatten es kurz versucht, aber aus uns sind keine Liebespaare entstanden. Wir waren einfach richtig gute Freunde.
Das Besondere an meiner Freundin war, dass sie immer gut informiert war. Weil sie so offen war und gut im Sich-mit-Anderen-Vernetzen. So wusste sie als Erste, dass am Baugeschichte-Lehrstuhl zwei Stellen für Grabungs-Assistenten auf einer archäologischen Grabung in Ägypten ausgeschrieben wurden. Und so bekamen wir Beiden auch diese beiden Stellen.
Es war ein riesiges Abenteuer, unser gemeinsames Abenteuer! Dabei stellten wir fest, dass wir Dingen zustimmten, weil wir dachten die Andere wollte es so, obwohl dem gar nicht so war, sodass wir in manch kritische Situationen gerieten. Denn ich hatte immer schon eine höhere Risikobereitschaft was körperliche Aktivitäten betraf, sie dafür was das Vertrauen in Fremde betraf.
So halfen wir uns gegenseitig unbewusst, über uns hinauszuwachsen.
Nach unserer Rückkehr trennten sich unsere Wege. Wir heirateten, bekamen Kinder und zogen in unterschiedliche Städte. Doch einmal im Jahr fuhren wir, als das alte Vierergespann, über ein verlängertes Wochenende auf Exkursion, in eine europäische Stadt. Das wurde über viele Jahre hin zur Tradition.
Sobald wir wieder vereint waren, fielen die ganzen aktuellen Themen und Sorgen von uns ab, und wir blödelten und feierten wieder, wie in den alten Studentenzeiten. Wir waren wieder jung!
Doch mit der Zeit erlosch diese Tradition. Zeit wurde immer wertvoller im Alltagsstress, und auch die jeweiligen Partner hatten immer weniger Verständnis für unsere gemeinsame kurze Auszeit.
Doch glücklicherweise zog meine Freundin mit ihrer Familie in einen Ort ganz in meiner Nähe, weil ihr Mann dort eine gute Stelle gefunden hatte. Wir trafen uns einmal die Woche vormittags, während die Kinder in der Schule gut aufgehoben waren, und unternahmen immer etwas: Fahrradtouren, Bergtouren und Klettereien, oder Ski- und Rodelausflüge im Winter.
Erst im Laufe dieser Zeit wurden wir zu wirklich Besten Freundinnen. Während dieser gemeinsamen Unternehmungen erzählten wir uns Alles. Unsere geheimsten Sehnsüchte und Wünsche, die erfüllten wie die unerfüllten.
Wir wussten Alles, und doch nur fast Alles voneinander.
Sie redete immer sehr, sehr viel. Manchmal nervte es mich auch. Doch wenn es darauf ankam, hörte sie mir ganz aufmerksam zu. Dann kamen Sätze aus ihr heraus, die sie selbst nicht nachvollziehen konnte, doch die für mich, eine unglaublich tiefe Bedeutung hatten.
Vor allem stellte sie dann auch immer die entscheidenden Fragen! So waren viele meiner Ideen und Entscheidungen an diesen gemeinsamen Vormittagen im Alpenvorland entstanden, und sind nun für Alle Zeit mit einem bestimmten Baum, Gipfel oder Gasthaus verknüpft… und mit Ihr.
Auch diese Ausflüge sind seltener geworden. Erst einmal im Monat, dann nur noch ein paar Mal im Jahr. Auf dem Laufenden waren wir trotzdem, via Whatsapp.
Meine Freundin litt unter extremer Schlaflosigkeit… Sie verlor zusehends an Kraft und Energie. Sie konsultierte einen Arzt und Experten nach dem Anderen, doch keiner konnte ihr helfen. Sie magerte schrecklich ab und kam dann für längere Zeit in eine Klinik. Auch ich zermarterte mir das Hirn, über die Gründe und wie ich ihr helfen könnte. Wir wussten doch Alles voneinander! Und doch war ich so hilflos und konnte nur tatenlos ihrem Verfall zusehen. Da sie früher so ein strahlender Mensch gewesen war, wollte sie von keinem so gesehen werden. Ich bin trotzdem immer wieder hingefahren, und habe versucht sie in den Zauber der vergangenen Erlebnisse zurückzuholen, um in ihnen Kraft zu schöpfen.
Letzte Woche nun haben wir sie begraben. Der endgültige letzte Abschied, von meiner besten Freundin.
Ich bin so unsagbar traurig…
Meine liebe Freundin, Beraterin, Weggefährtin… Du mögest nun wieder strahlen, irgendwo im Licht!
Ich danke Dir für All die gemeinsamen Erlebnisse und Gespräche, für deine Geduld und Ungeduld, für deine Inspirationen und deine Warnungen, und besonders für dein großes Vertrauen! Du hast immer an mich geglaubt!
Ich hab dich lieb,
Du fehlst mir!
Siehe auch : Alleingelassen – Trauerbewältigung bei Verlust oder Trennung