PACIFIC CREST TRAIL: ich und der Bär
Es ist noch kalt draußen. Wir warten im Zelt bis die Sonne über den Mather Pass ins Tal und auf unser Zelt scheint. Es gibt wieder Tee und unser Morgenmüsli. Die Wände der Palisade-Range fallen steil zum Seeufer ab. Der Pacific Crest Trail schlängelt sich nun zwischen See und den schroffen Abhängen am Ufer des Upper und des Lower Palisade Lakes entlang. Eine tolle Szenerie!
Dann geht es 500 Höhenmeter in vielen Serpentinen steil hinunter in das Tal des Palisade Creek. Hier wachsen wieder Bäume, dicke alte Zedern. Ihr Duft ist allgegenwärtig.
eigentlich allein
Alex ist nun immer weit voraus. Er wartet dann ab und zu bis ich wieder aufgeholt habe. Und möchte dann gleich wieder starten, da er sich beim Warten ja schon hat ausruhen können. Wir haben halt einen unterschiedlichen Rhythmus. Eigentlich geht jeder für sich allein. Nur in und um das Zelt und bei den Pausen auf den Pässen sind wir zusammen.
Ich habe meine Kamera dabei und ein paar Filme. Pro Tag kann ich 7 bis 8 Fotos machen. So ein Film hat ja nur Platz für 36 Aufnahmen! Ich muss gut überlegen, was ich fotografiere. Und bereue es manchmal irgendwo doch kein Foto gemacht zu haben…
Mittags erreichen wir den Kings River. Wir werden diesem nun wieder aufwärts bis zu seinem Quellgebiet am Muir Pass folgen. Es ist schön warm. Wir waschen uns im Fluss und erholen uns auf einer sonnigen Blumenwiese. Es ist wunderschön hier! Wir hätten nur gern ein bisschen mehr zu Essen.
Dann verlassen wir die satten Wiesen und wandern im Le Conte Canyon flussaufwärts. Alex ist schon wieder weit voraus. Es geht gemütlich dahin. Von dem schweren Rucksack, der mit über 20 Kilo an meinen Schultern hängt, mal abgesehen. Ein schöner Pfad, ohne nennenswerte Steigung, durch einen lichten Bergwald. Die Berge leuchten in der Sonne. Ich summe vor mich hin.
Bei einer hübschen Baumgruppe knorriger alter Zedern bleibe ich stehen um etwas zu trinken, und lasse meinen Blick erst einmal über die Szenerie schweifen… da sehe ich ihn. Den Bären !
Ich und der Bär
Langsam kommt er über die Freifläche auf mich zu. Mir stockt der Atem und ich erstarre zur Salzsäule. Ich kann mich keinen Millimeter bewegen.
Erst ganz leise, mit Panik in der Stimme, beginne ich nach Alex zu rufen. Das ist nun völlig sinnlos, denn Alex befindet sich wahrscheinlich schon eine Stunde weiter oben im Tal.
Mein Rufen wird immer lauter, Alex, Aaaalex, Aaaaaaaalex… aus der Panik wird Wut. Wut, dass er mich hier allein gelassen hat. Mutterseelenallein in dieser Wildnis… mit einem Bären!!! Dass er keine Rücksicht auf mich nimmt. Sich nicht um mich kümmert… mich überhaupt liebt!? Ich brülle mir die Seele aus dem Leib… vor soviel Wut… und der Bär bleibt stehen.
Er richtet sich auf und betrachtet mich.
Was sieht er da? Eine seltsame Gestalt, mit meinen bunten Lycraleggins, dem bunten T-Shirt, lila Cap, und dem großen Trekkingrucksack in Neonfarben auf dem Buckel, den ich für meinen 2.Platz bei einem Kletterwettkampf gewonnen hatte. Und wütend kreischend. Das sieht wahrlich nicht besonders lecker aus.
Der Bär lässt sich wieder auf seine Vordertatzen fallen, dreht sich weg, und schlendert langsam in anderer Richtung davon.
Meine Erstarrung löst sich und ich beginne haltlos zu schluchzen. Eigentlich habe ich total weiche Knie und es schüttelt mich nur so. Doch ich zwinge mich weiter zu gehen. Aus Angst. Um möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen mich und den Bären zu bekommen.
Was habe ich hier zu suchen?
Ich keuche, ich brülle, ich schluchze… bis ich mich endlich beruhigt habe. Ich muss für den Bären wie ein Alien erschienen sein. Wie aus einer anderen Welt. Und das war ich ja auch. Was habe ich hier zu suchen? Das hier ist sein Revier, seine Heimat, seine Natur, seine verdammt schöne Welt. Und ich ein Eindringling, der sich einbildet auch Teil dieser Natur zu sein. Nein, ich bin nur Gast. Ein Gast der keine Ahnung hat. Ich fühle mich entsetzlich einsam und allein.
Ich kaue auf diesen Gedanken herum bis ich Alex erreicht habe, der mich in blendender Laune und ausgeruht anlächelt. Ich breche in Tränen aus.
Er nimmt mich in die Arme und wartet bis ich erzählen kann was los ist. Er sieht mich ungläubig an… und verspricht, mehr in meiner Nähe zu bleiben und öfter zu warten.
Am Abend verstauen wir alle Lebensmittel, Zahnpasta oder was sonst noch einen Bären interessieren könnte in zwei Stoffsäcken. An eine dünne Schnur binden wir einen Stein, den Alex über einen hohen Ast wirft, um mit der Schnur ein stärkeres Seil hochzuziehen, an das wir dann die Säcke knoten. Sie hängen nun so, dass der Bär weder vom Boden noch vom Baumstamm aus hinkäme. Denn Bären können ja auch ganz gut klettern.
Wir diskutieren was ich hätte tun können. Mit dem schweren Rucksack auf einen Baum klettern? Den Rucksack abwerfen und dann klettern? Mich mit meinen Wanderstöcken verteidigen? Wahrscheinlich hätte all das den Bären aggressiv gemacht, und ich habe intuitiv das Richtige getan.
Ich schlafe schlecht. Immer wieder höre ich Geräusche, ein Keuchen, wie wenn ein Kettenraucher eine lange Treppe hinaufsteigt. Mir wird bewusst, dass ich dieses Keuchen auf unserer Wanderung schon öfters gehört habe. Ich denke, das kommt von den Bären… in den Wäldern sind sie hier überall.
Fortsetzung: