Neufundland: Avalon – Ein Felsen für 70 Tausend Seevögel
Es gibt so viel felsige Küste auf Neufundland, doch scheinbar gibt es für Seevögel nur eine einzige feine Adresse im Nordatlantik: den Vogelfelsen im Süden von Avalon, am Cape St. Mary’s, wo sich um die 70 Tausend unterschiedlicher Seevögel um die besten Nistplätze streiten.
Doch nicht nur Seevögel haben ein Auge für diesen wildromantischen Küstenstreifen. Im Reisemagazin von National Geographic wurde aus 99 Küsten und Stränden Weltweit nicht ein Strand auf den Malediven oder auf Hawaii, sondern die Küste der Avalon-Halbinsel auf Neufundland zur Nummer Eins gewählt, zur „schönsten Küste der Welt„!
Wir fahren erst an der lieblichen Westküste Avalons hinunter, dann pfeilgerade durch eine weite Steppen-Ebene, bis zur Südspitze, dem Cape St. Mary’s. Am Parkplatz des Informations-Zentrums, in dem die Fauna und Flora des ökologischen Reservates Cape St. Mary’s dokumentiert wird, startet unsere Wanderung über grüne Wiesen längs der Küste.
The Bird Rock – der Vogelfelsen
In der Ferne ist bereits ein Felsen auszumachen, der aus den dunklen, zerklüfteten Klippen hell heraussticht. Er sieht irgendwie seltsam gesprenkelt aus, wie mit weißem Konfetti bestreut. Und jedes dieser unzähligen Konfettis ist ein Vogel…! Über 70.000 Seevögel brüten hier alljährlich auf engstem Raum… es ist unglaublich.
Der Pfad führt uns bei der Bird Rock Bucht nahe an den Klippenrand heran. Auf den abgetreppten Fels-Simsen unter uns ist schon Einiges los. Je näher wir dem eigentlichen Vogelfelsen kommen, desto dichter wird die Vogelbevölkerung der Klippen. Auch im Meer schwimmen Tausende an Vögeln schaukelnd mit den Wellen.
Wie bei uns Menschen bevölkern die unteren Etagen die „niederen Vögel“. Je höher der Felsen und je besser die Aussicht desto wertvoller und umkämpfter der Landeplatz. So sind die einzelnen Vogelarten und ihre unterschiedlichen Verhaltensweisen sehr gut in der jeweiligen Etage zu erkennen und zu beobachten.
der gewagte Sprung der Alkenküken
Ziemlich weit unten brüten die schwarz-weißen Tordalken. Bekannt sind sie für ihren Alkensprung: die Jungvögel verlassen mit einem gewagten Sprung ins Ungewisse bereits nach 18 Tagen ihr Nest. Sie landen entweder gleich im Wasser oder purzeln erst halsbrecherisch die Felsen hinunter. Ihr Vater begleitet meist diesen Sprung mit ausgebreiteten Schwingen und gefächertem Schwanz, um das Küken abzubremsen.
In den Stockwerken darüber nisten die Dreizehen-Möwen. Sie bauen ihre Nester aus Schlamm und Seetang in steilen Felswänden. Für sie ist die Herausforderung den Anflug in die Steilwand zu erlernen. Dann gibt es noch die Etagen der Trottellummen, der Gryllteisten und der Kormorane ganz unten am Wasser.
Der Vogelfelsen selbst ist ein vom Festland abgetrennter Pfeiler, umspült vom Meer. Der Spalt dazwischen beträgt keine zehn Meter. Die Vögel fühlen sich hier sicher und lassen sich von den Menschen, die da mit ihren teils riesigen Foto- und Filmkameras am Klippenrand stehen nicht stören.
Nirgends auf der Welt kann man den Vögeln so nahe sein!
Die Penthouse-Etage ganz oben auf diesem Pfeiler ist den Basstölpeln vorbehalten. Hier brüten über 11.000 Paare, Nest an Nest! Diese faszinierenden Seevögel sind etwa so groß wie Gänse, haben aber einen stromlinienförmigen Körper. Sie sind Stoßtaucher, die wie Pfeile mit bis zu 100 km/h Geschwindigkeit tief ins Meer eintauchen um Heringe oder Makrelen zu jagen. Mit ihren schmalen Flügeln mit bis zu 1,80 Metern Flügelspannweite sind Basstölpel auch hervorragende Gleitflieger die weite Strecken zurücklegen können. Nur beim Starten und Landen haben sie Schwierigkeiten… das sieht bei ihnen dann auch wirklich Tölpelhaft aus.
Basstölpel-Paare haben eine entzückende Begrüßungszeremonie, wenn sie sich wiedersehen. Sie reiben ihre Bäuche mit hochgestreckten Hälsen aneinander, und führen dann Fechtbewegungen mit ihren Schnäbeln und anschließende Verbeugungen im Wechsel aus.
Die Nistplätze sind hart umkämpft. Hoch oben kreisen andere Männchen und versuchen irgendwo einen Landeplatz zwischen all den Vogelkörpern zu finden, bevorzugt bei einem Partnerlosen Weibchen. Bei ihrer Landung werden sie nicht selten von den umliegenden Paaren angegriffen und mit einem aggressiven Drauf-Los-Gehacke wieder verjagt.
Hier gibt es so viel zu sehen und zu beobachten! Wir setzten uns mit großen Augen auf die Wiese am Klippenrand und schauen dem faszinierenden Spektakel zu. Ich könnte hier stundenlang einfach nur sitzen und staunen. Außer uns Dreien sind noch ein paar Tier-Fotografen mit ihren riesigen Teleobjektiven und Biologen vor Ort, die das Verhalten der Vögel schriftlich dokumentieren.
Dieser Platz an dieser Küste mit dem Vogelfelsen, ist der beeindruckendste Ort an dem ich je gewesen bin!
Avalon
Ich würde diese Landschaft hier in Avalon eigentlich auf der grünen Insel Irland vermuten: Hohe Felsenklippen über einem tiefblauen Meer, die in eine runde saftiggrüne Hügel-Landschaft übergehen, in der weiße Schafe weiden. Dann diese mysthischen Sümpfe und Wälder mit ihrem silbrigen Flechten- und buntem Mossbewuchs. Die wabbernden Nebel über den vielen Seen und an der Küste. Das Alles lässt mich an die Saga von den Nebeln von Avalon denken (von Marion Zimmer Bradley), die ich in jungen Jahren „verschlungen“ habe. Avalon als „heiliger Ort zwischen den Welten der Götter und der Sterblichen“. Und erstaunlicherweise gehörten Irland und Avalon auch einmal zusammen! Vor 65 Millionen Jahren, im Tertiär der Erdgeschichte, war Nordamerika hier mit Europa verbunden. Und so verwundert es nicht, dass der Bird Rock Europas, die Insel Grassholm vor der walisischen Küste in der Keltischen See, dem Vogelfelsen von Avalon sehr ähnlich ist. Nur kommt man da nicht so leicht hin.
Eine Schafmama mit ihren beiden Lämmern trottet am Rand der Klippen entlang. Sie traut ihrem Nachwuchs zu, keinen falschen Schritt zu tun, und blickt sich doch immer wieder sorgenvoll nach ihnen um. Sie erinnert mich an mich selbst, wie ich hier mit meinen fast erwachsenen Kindern umherziehe und mit ihnen Abenteuer erlebe. Die beiden wissen einerseits schon Einiges, und sind doch in vielen Dingen noch so unbeholfen…
Mein Reisebericht:
- Halifax, Titanic und der Leuchtturm
- Cheticamp am Cape Breton Nationalpark
- Die Elche vom Cape Breton
- Eule, Wasserfall und Nebel
- Philosophie und Regen am Middle Head
- Fähre nach Neufundland
- Sonnenuntergang an der Bay of Islands
- Orcas und Frühstück am Strand
- unser Western-Brook-Pond Fjord Drama
- die einzigartige Mondlandschaft der Tablelands
- Felsformationen der Arches und Wanderung am Cow Head
- Gipfelglück mit Elchen am Gros Morne
- Crow Head und die ersten Eisberge
- die wilde Luxus- und Künstler-Insel Fogo Island
- Terra Nova – tolle Aussicht am Malady Head
- Terra Nova – die Giftpflanzen am Ochre Hill
- Ein Felsen für 70 Tausend Seevögel
- der Zauber von Avalon
- Twillingate an der Iceberg Alley
- Whalewatching – Begegnung mit dem Minkwal
- Von den letzten Indianern